SCHERNIKAU.SEHNSUCHTSLAND - PRESSESTIMMEN

Hier finden Sie die ungekürzten Pressestimmen (Auswahl).


Der letzte Mohikaner oder Warum ein fünfzigster Geburtstag wichtiger sein kann als ein zwanzigster. Ein Kalenderblatt für Ronald M. Schernikau (1960-1991)

Theater der Zeit (Martin Linzer, Oktoberausgabe 2010, Auszug)

 

In Berlin (TuD) und Leipzig (Lofft) hatte bereits eine Produktion (von PortFolio Inc.) Premiere, die der facettenreichen Persönlichkeit Ronald M. Schernikau nahekommen wollte. Unter dem Titel "Schernikau. Sehnsuchtsland" haben Marc Lippuner und sein Team erfolgreich versucht, die "Dreifaltigkeit" Schernikaus auch darstellerisch umzusetzen; je ein entsprechend profilierter Schauspieler präsentierte, auch unter Verwendung von Originaltexten, den Kommunisten, den Dichter, den Schwulen, und die Differenzen machten die Einheit der Person kenntlich.


Aus einem Schriftsteller mach drei Figuren

Der Freitag (Stefan Amzoll, 23. Juni 2010)

 

Theater passt zu Schernikau. Der Schriftsteller ist durch und durch theatralisch und ganz von dieser Welt. Natürlich, Ronald M. war kein Brecht. Stücke fehlen in seinem Nachlass. Warum wohl? Vielleicht fand er die Welt selbst dramatisch genug. Er liebte die Bühne. Im Westen kreierte er die Theatergruppe „Ladies Neid“. Ihre Mitglieder waren politisch motivierte Showmenschen, produzierten Nonsens, schufen alberne, verzweifelt komische Zusammenhänge.

Derlei liebte der tapfere Schernikau. Das arg Abgedrehte war sein Fall. Es sei gültiger Ausdruck der Zeit. Aber der Dichter hatte wenig Zeit. Er, 1960 in Magdeburg geboren, aufgewachsen in Lehrte, gelebt in West-Berlin und noch 1989 übergesiedelt nach Ost-Berlin, starb sehr früh, 1991, an Aids. Er war schwul. Und Kommunist. Und als hochintelligenter schwuler, kommunistischer Dichter sagte er sich: Diese Scheißwelt, die so schön ist, bietet so unzählige Partikel auf, dass man sie nur neu zusammenzusetzen braucht, damit sich eine andere Realität fügt. Das war des sprachgewandten Schernikaus literarisches Prinzip.

Genau das greifen die Theaterleute von der Gruppe Portfolio Inc. um Marc Lippuner im Berliner Theater unterm Dach auf mit der Premiere von Schernikau. Sehnsuchtsland. Ein gerahmtes Foto des Dichters mit Trauerflor ist zu sehen. Geteilt wird die Figur in drei Perspektiven. Da spricht der unverbesserliche Kommunist. Da streitet der Kommunist mit dem schwulen Manne, der schwule Mann mit dem Dichter Schernikau. Drei Schauspieler agieren (Stefan Artz, Thomas Georgiades, Michael F. Stoerzer). Und alle drei reden für und mit sich und wetteifern spielerisch untereinander, fechten bisweilen sportlich ihren Kampf aus. Jeder einzelne fragt und irrt und sagt zugleich Wahres.

Lippuner baut ein kleines Drama voller Haken und Ösen, worin referiert, zitiert, dialogisiert, monologisiert, gestikuliert, animiert, provoziert, geschockt wird. Komik ist ein Elexier von Schernikau. Sehnsuchtsland. Zur Darstellung kommt Schernikaus Mutter, über die es in Buchform ein wunderbares Gesprächsporträt gibt (Irene Binz, Rotbuch Verlag). Lachhaft die Situation, wie sie dem Bundesbeamten an der Grenze zur DDR andauernd zu verstehen gibt, sie sei kein politischer Flüchtling, sie wolle lediglich zum Vater ihres Sohnes. Sodann der windige Beamte sie aushorcht, als wäre sie schon im Visier des Bundesnachrichtendienstes.

Das Stück geht so chronologisch wie sprunghaft vor. Ereignisse überstürzen, überkreuzen sich. Wie immer die drei Schernikaus Zwiesprache halten, sie bürsten gegen den Strich. Schön die Persiflage auf den Namen Ronald. Da scheinen die Grimasse Ronald Reagans und seine Phobie vor dem Kommunismus durch. Eine flotte, schaumige Geiferei. Können Popmusik, Schlager und dergleichen progressive Ideen dienstbar gemacht werden? Da fängt die Truppe plötzlich elend zu singen an. Heitere Zweifel nagen, ein Nachdenkprozess kommt in Gang. Schernikau kannte kaum jemals Berührungsängste zum Trivialen. Gleichzeitig bestand er auf den Kriterien der objektiven Wahrnehmung der Welt. Gesetzt, eine ihrer Subwelten zerspränge, scheitere, so explodiere noch lange nicht die Utopie einer besseren Welt. Schernikau. Sehnsuchtsland porträtiert, karikiert, konfrontiert, distanziert.

Die drei Schauspieler setzen einen enorm wichtigen Mann ins Bild, widersprüchlich im Marx'schen Sinn, einen lustigen, weltzugewandten, gelassen denkenden Menschen, der so gar nicht ins Raster passen will, aber dem die Zukunft gehört. So opponiert die Inszenierung mit freudigem, überraschendem Material gegen eine mit Vorurteilen vollgestopfte kapitalistische Welt. Zitiert wird aus einem wahrhaft geschichtlichen Dokument, aus Schernikaus Rede auf dem Schriftsteller-Kongress der DDR 1990. Den Text sollten sich alle Schriftsteller, die noch leben und damals dabei gewesen sind, hinter die Ohren schreiben. Wenn einer historisch wach war und warnte, dann Ronald M. Schernikau. – Ein seltener Fall von Mann und von Theater. Das Stück gehört nachgespielt. Viel Beifall für die engagierte Truppe.


Biografische Doku-Fiction: Schernikau.Sehnsuchtsland

Zitty Berliner Stadtmagazin (Barbara Fuchs, 31.Juni 2010)


Er wurde als Lichtgestalt der deutschen Literatur gefeiert. Das war 1980, er war 20 und kam gerade in West-Berlin an: Ronald M. Schernikau, schön, begabt, schwul und Kommunist. Im September 1989 übersiedelte er in die DDR, während bereits tausende aus seinem „Sehnsuchtsland“ flohen. Die Theatergruppe PortFolio Inc. hat im Theater unterm Dach eine Annäherung an das kurze Leben Schernikaus (1991 starb er an Aids) in Szene gesetzt. Sie hat recherchiert und freigelegt, welche Relevanz Schernikaus Ideen und Träume noch heute haben. Die berührende Biografie „Der letzte Kommunist“ von Matthias Frings war dafür eine wichtige Quelle.
Der erste Teil des Abends gründet sich, spielerisch verhalten, vor allem auf Textmaterial. Deutlich davon abgesetzt folgt ein sinnenreiches Spiel, das den erlebnishungrigen und selbstbewussten Schernikau in seinen vielen Facetten spiegelt. Farbig-funkelnd spielen Stefan Aretz den empfindsam-reflektierenden Schriftsteller, Thomas Georgiadis den seine Sexualität strahlend feiernden Schwulen und Michael F. Stoerzer den Kommunisten mit Visionen von einer gerechten Welt. Wie dabei Fragen von Kunst, Sexualität und Politik miteinander verbunden, wie gesungen und getanzt wird (sogar Pina Bausch ist als Zitat präsent) – das ist für die Sinne und den Kopf überaus erfrischend. Denn die Suche nach einer gerechten Welt bleibt aktuell.  

Fazit: Zum Niederknien.


Homokommunist

Am 11. Juli wäre Ronald M. Schernikau 50 Jahre alt geworden. Das Theater unterm Dach würdigt den Schriftsteller mit "Schernikau.Sehnsuchtsland"

Siegessäule (Finn Bell, Juliausgabe 2010)


Als wäre Ronald M. Schernikau erst vor Kurzem verstorben, beginnt „Schernikau. Sehnsuchtsland“ mit einem Leichenschmaus. Die Bühne ist schwarz, die drei Darsteller tragen Trauerkleidung, an einem eingerahmten Foto hängt ein Trauerflor. Doch dann entbrennt eine heftige Debatte um das Thema „Wer war Schernikau wirklich?“ Literat, Kommunist oder Homosexueller? Und wie passt das zusammen? Jeder Darsteller repräsentiert eine Facette, wird zu einem Schernikau, der versucht, seine Rolle als die zentrale zu behaupten. Neben der hitzigen und nicht minder komödiantischen Diskussion, die ganz nach dem Geschmack des Enfant terrible gewesen wäre, tauchen die Schernikaus in biografische Stationen ein. Der Literat diskutiert mit Marianne Rosenberg, für die er Texte schrieb, über das subversive Potenzial des Schlagers, während die Tunte in Schernikau einen leidenschaftlichen Vortrag über Gendertheorie hält. Es wird gestritten, getanzt, zitiert und imitiert auf der Bühne des Theaters unterm Dach, dem in einer Gemeinschaftsproduktion mit der Theatergruppe PortFolio Inc. und dem Leipziger Off-Theater LOFFT das fantastische Kaleidoskop einer schillernden Persönlichkeit gelungen ist. Ob Sozialismus, Schreiben oder Schwulsein, am Ende ist es die Liebe, mit der sich Schernikau ins Leben stürzte und die im ersten Bühnenstück über den Dichter in jedem Augenblick erkennbar ist.


Ein Spiel für s.

Neues Deutschland (Lucia Tirado, 29. Juni 2010)


Ronald M. Schernikau war anders. Nicht, weil er Männer liebte. Eher, weil er gerne in der Gegenrichtung unterwegs war. Im September 1989 ließ er sich aus dem Westen kommend in der DDR einbürgern. Tausende rannten raus. Schernikau spazierte rein. Denn während man im Westen sagte, man könne gegen dies und jenes ohnehin nichts tun, sei im Osten immer noch die Option »es wird« gewesen. Unbekannt war ihm das Land nicht. Er hatte als »Ausnahmestudent« aus dem Westen in Leipzig Literatur studiert, wonach sein Buch »leben in l.«entstand.

Der junge Schriftsteller hatte mit Peter Hacks kommuniziert und ihn gefragt, ob es gut sei, in den Osten zu wechseln. Wenn er ein großer Dichter werden wolle, antwortete Hacks ihm, habe er keine andere Wahl. Die DDR allein würde die Fragen des Jahrhunderts »auf ihre entsetzliche Weise« stellen. Also kam Schernikau, lebte in Hellersdorf und wurde Hörspiel-Dramaturg im Henschelverlag. Zu einer anderen Zeit hätte dieser ungewöhnliche Einwanderer sicher Aufsehen erregt – »schreiben schwulsein kommunistsein. glaube liebe hoffnung. kindlich tuntig selbstbewusst«. Alles, was er Großes vorhatte, schrieb er klein. Er kümmerte sich nicht um Interpunktion.

Eine Theaterproduktion von PortFolio Inc. mit dem Theater unterm Dach Berlin und dem LOFFT Leipzig beschäftigt sich mit dem Leben des jungen Dichters, der nur 31 Jahre alt wurde und 1991 an Aids starb. Regisseur Marc Lippuner, der auch die Textfassung schuf, bezeichnet sein Stück »Schernikau.Sehnsuchtsland« als dreiseitige Annäherung. Vor diese Aufgabe stellt er die drei Schauspieler Stefan Aretz, Thomas Georgiadis und Michael F. Stoerzer. Sie machen daraus kein Trauerspiel. Bei aller Ernsthaftigkeit ist da immer Augenzwinkern, während sie im Schernikauschen Sinne über Kapitalismus, Sozialismus und Kommunismus streiten.

Das ist interessant in dieser Zeit, in der der Kapitalismus in der Krise dümpelt. DDR und BRD seien niemals vereinbar, hatte der junge Dichter gesagt. Die Entwicklung ab Herbst 1989 sah er als Konterrevolution. Er glaubte nicht, dass man ohne diese Erkenntnis in der Zukunft würde Bücher schreiben können. Lesenswert ist seine Rede auf dem Schriftsteller-Kongress der DDR 1990.

Die Schauspieler zitieren aus der Rede. Ebenso aus der »kleinstadtnovelle«. Diese Geschichte über das Coming Out eines Homosexuellen in der Provinz schrieb er vor dem Abitur. Es erschien im Rotbuch Verlag und wurde sein erster Erfolg. Seine wichtigste Arbeit aber war die »legende«, die er 1990 noch beenden konnte. In diesem 800 Seiten langen Werk scherte er sich nicht um Grenzen der Genre. Er montierte alles aneinander, was es nur an literarischen Möglichkeiten geben kann. Da sind Theorien, Fantasien, auch die Geschichte seiner Mutter, die aus Liebe zu einem Mann mit dem 6-jährigen Ronald die DDR verließ. Wer mehr wissen will, dem bleibt die Biografie »Der letzte Kommunist. Das traumhafte Leben des Ronald M. Schernikau« von Matthias Frings.

Regisseur Lippuner beweist mit seiner exzellenten Textfassung den Blick für das Wesentliche. Er folgt Schernikaus Montagemethode und den gedanklichen Exkursionen des Dichters, der mit Worten fliegen konnte und dennoch immer wieder am Boden zu landen fähig war.

1983 beschäftigte Ronald M. Schernikau die Frage, ob Schlager blöd und unpolitisch sein müssen. Er schrieb einen Schlagertext über den Mann, der erst ein schlechter Schauspieler und dann Präsident war. Namen brauchte er nicht nennen. Marianne Rosenberg hat's gesungen – »amerika«.